Gastbeitrag von Uwe Becker Staatssekretär im Hessischen Ministerium der Finanzen

„Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Transformation Europas.“

Staatssekretär Uwe Becker, bis Anfang 2024 Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen, beschreibt in seinem Gastbeitrag die Herausforderungen, vor denen Europa steht. Im Transformationsprozess sind Kommunen und Regionen Schlüsselakteure. Bei der Finanzierung wird es auch auf großes, privates Kapital ankommen, auf neue Finanzierungsmodelle und Finanzierungsformen. Leasing kann dabei stärker in den Fokus rücken.

Wenn wir heute einen Blick auf Europa richten, können wir unumwunden festhalten, dass noch nie in der vergleichsweisen jungen Geschichte der Europäischen Union die Mitgliedsstaaten gleichzeitig vor so grundlegenden Herausforderungen standen, wie wir sie gegenwärtig zu meistern haben. Nicht erst die Coronakrise und der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben uns die Anfälligkeit der europäischen Industrie und Wirtschaft vor Augen geführt. Schon das Steckenbleiben eines Containerschiffes im Suezkanal vor wenigen Jahren hat uns gezeigt, wie anfällig ganze Lieferketten sind und wie schnell die europäische Wirtschaft ins Stocken gerät, wenn Zulieferteile nicht rechtzeitig vorhanden sind und ganze Produktionen angehalten werden müssen. Die Reduzierung von Abhängigkeiten, die Diversifizierung unserer eigenen Wirtschaft, die Stärkung Europas als Produktions- und Investitionsstandort, die Meisterung der Herausforderungen des Klimawandels, die Digitalisierung und Automation bei gleichzeitig schrumpfender Bevölkerung – all dies sind Herkulesaufgaben, für deren Meisterung wir nur wenige Jahre zur Verfügung haben, wollen wir nicht an diesen Herausforderungen scheitern.

Das große Ziel der strategischen Souveränität Europas beinhaltet die Stärkung Europas in den wichtigen Fragen zentraler Infrastruktur. Das bedeutet konkret, die Verlagerung und Rückverlagerung wesentlicher Produktionsstätten nach Europa, von der medizinischen Versorgung bis hin zur Chipproduktion. Sie umfasst mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, bedingt die Ausrichtung von Wirtschaft und Investitionen auf nachhaltige Investments und verlangt ein neues Denken der Mobilität von morgen sowie die energetische Ertüchtigung der europäischen Immobilien, gerade auch der vielen Verwaltungsgebäude in staatlicher Hand. All das wollen, all das müssen wir in den nächsten Jahren anpacken.

Die so oft beschriebene Zeitenwende reduziert sich nicht auf die Neuausrichtung unserer sicherheits- und verteidigungspolitischen Agenda, sondern umfasst unser gesamtes gesellschaftliches Handeln. Dies schließt ein neues Verständnis von Bildung auf frühkindlicher Ebene ein und reicht bis zu einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer demografischen Entwicklung auch infrastrukturelle Herausforderungen auf das Älterwerden ausrichten muss. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Transformation Europas.

Gesunde Balance aus attraktiven Investitionen und notwendiger Regulierung

Die gewaltigen Aufgaben, die damit verbunden sind, werden wir nicht allein und eher zum geringsten Teil mit staatlichen Mitteln leisten können. Weder Subventionen noch Steuererleichterungen oder andere staatliche Instrumente werden in der Lage sein, all die notwendigen Investitionen zu leisten, die mit dieser Transformation verbunden sind. Es wird auf großes, privates Kapital ankommen, auf neue Finanzierungsmodelle und Finanzierungsformen und auch die wollen wir im Rahmen der nachhaltigen Finanzierung – der Sustainable Finance – bereits auf die neue Zeit ausrichten. Auf der einen Seite bedarf dies der nun zwingend notwendigen Schaffung der schon lange diskutierten Kapitalmarktunion. Denn nur in einer gesunden Balance aus attraktiven Investitionen und notwendiger Regulierung wird es uns gelingen, Kapital auf den europäischen Markt zu bringen, Investoren für Europa zu begeistern und damit die notwendigen Impulse zu setzen.

Federführende Rolle der Kommunen, Städte und Gemeinden

Auf der anderen Seite stehen in diesen Transformationsprozessen wieder einmal und ganz besonders die Kommunen und damit die europäischen Regionen im Fokus. Denn nicht erst der berühmte Ausspruch vom globalen Denken und lokalen Handeln versetzt Kommunen, Städte, Kreise und Gemeinden in eine federführende Rolle, sondern ihre originäre Aufgabe zur Sicherung der Daseinsvorsorge verlangt eine umfassende Integration in diesen Transformationsprozess. Umgekehrt werden sogar Städte, Kreise und Gemeinden und damit die europäischen Regionen Motor und Impulsgeber sein müssen für die dringend anstehenden Veränderungen auf dem Weg zur strategischen Souveränität Europas.

Wer die Mobilität neu ausgestaltet, beginnt dort, wo Mobilität stattfindet: auf den Straßen unserer Städte. Wer die Energiewende umsetzen will, investiert in Netze, von den großen Transport- bis hin zu den smarten Verteilnetzen in den Stadtquartieren. Wer die energetische Ertüchtigung unserer Immobilien in den Blick nimmt, kommt zu den dringend notwendigen Investitionen in Verwaltungsgebäuden, in Schulen, Hochschulen. Und wer neue Stadtquartiere plant und erschließt, der wird seine Politik von vornherein auf ein nachhaltiges und klimaschonendes Wachstum ausrichten müssen.

Weder Subventionen noch Steuererleichterungen oder andere staatliche Instrumente werden allein in der Lage sein, all die notwendigen Investitionen zu leisten, die mit dieser Transformation verbunden sind. Es wird auf großes, privates Kapital ankommen, auf neue Finanzierungsmodelle und Finanzierungsformen und auch die wollen wir im Rahmen der nachhaltigen Finanzierung – der Sustainable Finance – bereits auf die neue Zeit ausrichten. 

Uwe Becker, Staatssekretär im Hessischen Ministerium der Finanzen

Leasing wird stärker in den Fokus rücken

Hier wie dort, global wie lokal, von Kapitalmarktunion bis zum Darlehen der einzelnen Kommune werden gewaltige Investitionsleistungen notwendig werden. Die dafür notwendigen Ressourcen wird man nicht nur nachhaltig ausrichten, sondern nachhaltig beschaffen müssen. Gleiches gilt für den Umgang mit der damit verbundenen und damit zu stärkenden oder zu schaffenden neuen Infrastruktur. Von Kommunaldarlehen über neue öffentlich-private Partnerschaften bis hin zu Leasing-Modellen werden die Konstruktionen reichen müssen, die notwendig sind, um all dies zu verwirklichen. Dabei muss genau abgewogen werden, welche Folgen, welche Bindungen, welche Leistungen und welche Abhängigkeiten wieder neu entstehen, wenn unterschiedliche Formen der Finanzierung unterschiedliche Wege der Investitionen gewählt werden. Dabei können und dabei werden auch Leasing-Möglichkeiten noch stärker als bisher in den Fokus rücken. Die Aufgabenverteilung zwischen der öffentlichen Hand und Leasing-Gesellschaften ist dabei genau zu betrachten. Vielfach verbinden sich mit Leasing-Optionen auch weitere Aspekte, die man in solchen Modellen gleichzeitig mit einkauft.

Expertise und Services bieten Chancen für nachhaltige Ausrichtung

Von der Expertise im Facility Management, verbundenen Serviceleistungen, Versicherungsmodellen und vertraglichen Bindungen an Sanierungen, Wartung, Erneuerung bis zur Beschaffung neuer IT sowie anderen Serviceleistungen können Möglichkeiten reichen, die in Leasing-Verträgen angelegt sind. Damit sind diese Formen der Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge eine zusätzliche Chance, Investitionen bereits bei der Entscheidung langfristig und damit nachhaltig auszurichten. Gleichzeitig sorgen solche Verträge für zusätzliche Bindungswirkungen, die ebenso zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung bewertet und hinterfragt werden müssen. Wie passen Leasing-Modelle in vorhandene Strukturen der jeweiligen Kommune, von Fragen des Bau- und Immobilienmanagements bis hin zu den Aufgaben eigener Digitalisierungsbereiche? Wo ergeben sich Vorteile, wo schafft es eher zusätzliche Bindungswirkung? Wo verlagern sich Gewinne, wo landet am Ende der nachhaltige Erfolg langfristiger und damit nachhaltiger Investments? Es gibt hier kein Schwarz und kein Weiß, kein Richtig, kein Falsch, sondern jede Kommune muss für sich prüfen, in welcher Weise und in welchem Umfang sie sich im Rahmen ihrer Investitionsfinanzierung bindet und festlegt.

Leasing kann dem nachhaltigen Anspruch Rechnung tragen  

Was vielfach als ideologischer Streit in der Vergangenheit bei öffentlich-privaten Partnerschaften diskutiert worden ist, lässt sich auf den schlichten Nenner bringen: Es gibt hier wie dort gute und schlechte Verträge. Umso mehr gilt es, vor dem Hintergrund der anstehenden Transformation sehr klug zu betrachten und zu bewerten, in welcher Weise sich Finanzierung und vertragliche Bindung auf der Zeitschiene miteinander vernünftig vertragen, ohne politische Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand zu geben. Nachfolgende Generationen über Gebühr zu binden oder sich gar im Ungleichgewicht von Gewinn und Aufwand zu verlieren, kann am Ende mehr schaden als nutzen.

Umgekehrt gilt allerdings auch, dass durch kluge Kombinationen von Finanzierung und Objektexpertise auch nachhaltige Strukturen schon mit der Investitionsentscheidung angelegt werden können. Insofern können Leasing-Modelle genau diesem nachhaltigen Anspruch Rechnung tragen. 

Uwe Becker, CDU, ist seit Januar 2024 Staatssekretär im Hessischen Ministerium der Finanzen, zuvor war er zwei Jahre Staatssekretär für Europaangelegenheiten. Becker war bis Anfang 2024 Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen. Dieser fungiert als Sprachrohr für Regionen und Städte innerhalb der Europäischen Union. Der Ausschuss repräsentiert die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in der EU und äußert sich zu neuen Gesetzesinitiativen, die relevante Auswirkungen auf die Regionen und Städte haben könnten.